SYSTEMISCHES DENKEN

Wie ich dazu kam und warum ich es so gut finde

Genauso wenig wie es „die eine richtige Wahrheit“ gibt, genauso wenig gibt es „das eine richtige systemische Denken“. Es gibt sehr verschiedene systemische Ansätze aber alle zusammen ergeben ein ganzheitliches Denken.

Als ich als 21jähriger zufällig zu einem Praktikum nach Imperia (Italien) kam und es mit sogenannten „schwererziehbaren“ deutschen Jugendlichen zu tun bekam, wurde mir klar, dass diese „Schwererziehbaren“ auch „normal“ sein können. Allerdings zeigten sie in ihrer Vergangenheit Verhaltensweisen, die nicht „normal“ (meist auch nicht akzeptabel, tolerierbar, legal, …) waren. Deshalb kamen sie über Umwege (Wohngruppe, Psychiatrie, Knast, …) an diesen Ort. „Systemsprenger“ würde man heute vielleicht dazu sagen. Ich erlebte sie nicht als krank, gestört, … auch wenn es nicht immer einfach, ja sogar sehr herausfordernd mit ihnen war. Systemisch gesehen ist der Mensch zugleich als ein biologisches und soziales Wesen zu betrachten. Eine der größten Errungenschaften systemischen Denkens liegt für mich darin, dass es Probleme nicht mehr „in“ den Menschen sieht, sondern diese „zwischen“ sie stellt. Es richtet sich auf zwischenmenschliche Phänomene in sozialen Systemen. Soziale Systeme vereinfacht verstanden als eine Anzahl von Personen, die mit ihren individuellen Merkmalen in wechselseitigen Beziehungen stehen.

Das Studium der Sozialpädagogik nutzte ich mit meinen Erfahrungen in Italien und der sich daran anschließenden Wohngruppe in Deutschland in erster Linie dazu, die geeignetste Gesprächsform zu finden. Eine Gesprächsführung, die einerseits meiner Weltanschauung am besten entspricht und andererseits wirksam ist, um Menschen helfen zu können. Ich fand sie in der Gesprächsführung nach Milton Erickson und machte bei der Milton Erickson Gesellschaft eine Weiterbildung. Dort lernte ich, dass Menschliches Erleben die Folge von Aufmerksamkeitsfokussierung ist (Energie flows, were Attention goes) und dass es sowohl eine Problemtrance wie auch eine Lösungstrance geben kann – je nachdem wo meine Gedanken kreisen. Ich schrieb meine Diplomarbeit über Hypnosystemische Beratung. Ein Ansatz nach Gunther Schmidt, der die Hypnotherapie Ericksons mit den Ansätzen der systemischen Familientherapie verband. Mein Sozialpädagogisches Anerkennungsjahr machte ich in einer anthroposophischen Fachklinik für Drogentherapie. Hier begegneten mir keine „Suchtkranken“, für mich waren es eher junge Menschen, die beim Erwachsenwerden und in ihrer Beziehungsgestaltung zu wichtigen Bezugspersonen um zwischenmenschliche Werte wie (Selbst-)Vertrauen, Wertschätzung, Mut, usw. rangen.
In der sytemisch-therapeutischen Praxis werden die zwischenmenschlichen Beziehungen der PatientInnen zum Gegenstand der Therapie (Paul Watzlawik) und eben nicht der Mensch mit seinen scheinbaren Defiziten und Schwächen. Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten werden nicht als problematische Eigenschaften einzelner Personen gesehen. Menschen verhalten sich so oder so innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen, sie sind nicht so.

Als Sozialpädagoge bei der Treberhilfe Dresden e.V. im Bereich der sogenannten Erzieherischen Hilfen, welche über das Jugendamt initiiert werden, machen zunächst Kinder oder Jugendliche auf sich aufmerksam. Für mich stellte sich aber auch da meistens heraus, dass die einseitige Konzentration auf das Kind oder der Jugendlichen (Symptomträger) oft nicht so richtig weiterhilft. Viel erfolgreicher war es, das relevante Umfeld (meist Familie) gleichrangig mit ein zu beziehen.

Systemische Beratung und Therapie beleuchtet genauer die Wirkung wechselseitiger Kommunikation und Verhaltens in Systemen. Es interessiert, was Menschen tun können, damit ein System (Problem) aufrecht erhalten wird oder in eine (Lösungs-)Bewegung gerät. Und welche Muster für ein System eher sinnvoll oder einschränkend sind.

Als Familientherapeut im Bereich der Aufsuchenden Familientherapie kann ich mich in einem Co-Team ausschließlich auf systemische Zusammenhängen einer Familie konzentrieren und vielfältige Methoden anwenden. Für mich bestätigt sich systemisches Handeln immer wieder durch Erfolge in der Praxis. Menschliches Verhalten gewinnt seine Bedeutung und Wirkung erst in dem Sinnzusammenhang (ökosystemische Kontext) in dem es stattfindet. Es gibt keine sinnlosen Symptome, Konflikte, Phänomene im System. Egal wie sich dieses Verhalten gestaltet und auswirkt, jeder Mensch tut was er unter bestimmten Bedingungen tun kann und versucht an einer Lösung des Problems mitzuwirken. Symptome und Probleme sind Ausdruck aller am System beteiligten Personen. Der sogenannte „Symptomträger“ bzw. „das Problem“ deutet lediglich auf etwas hin und macht wie eine Warnleuchte auf etwas wichtiges im System aufmerksam. Die Warnleuchte abzuklemmen macht keinen Sinn, weil es das Problem nicht löst. Daher ist es zunächst einmal gut, dass es sie gibt. In diesem Sinne können „Probleme als Lösungen“ verstanden werden (Klaus Mücke). Hier schließt sich ein Kreis zwischen Problem und Lösung.

Als Symbol dafür habe ich den bekannten „Endlosknoten“ als mein Logo gewählt. Er deutet darauf hin, dass alle zwischenmenschlichen Phänomene miteinander verbunden sind. Jedes Verhalten jedes Beteiligten ist gleichzeitig Ursache und Wirkung des Verhaltens der anderen Beteiligten. Systemisches Denken spricht hier von Zirkularität. Ursache und Wirkung heben sich im Zusammenspiel zwischen Menschen auf. Es gibt ausschließlich Wechselwirkungen wobei das Eine das Andere bedingt.

Als selbständiger Systemischer Therapeut, Coach und Supervisor arbeite ich auch mit Teams und einzelnen erwachsenen Personen im beruflichen Kontext. Auch hier hört systemisches Denken und Handeln nicht auf. Neben der äußern Familie, dem äußeren Team, dem äußeren System usw. gibt es auch innere Seiten, innere Anteile die ein „Innermenschliches System“ ausdrücken. Innere Dialoge, ein Gespräch mit sich selbst zeugt von mindestens zwei Gesprächspartnern. Systemisches Denken geht davon aus, dass es den feststehenden Charakter (Ich bin) nicht gibt, sondern dass sich das Ich in verschiedenen Kontexten in verschiedene Seiten/Anteile auflöst/zeigt. Diese Annahme eröffnet einerseits viele Wahlmöglichkeiten und macht andererseits die Person auch für ihr Handeln verantwortlich. In einer Paartherapie heißt Systemisch zum Beispiel 50 : 50 und braucht daher Gleichberechtigung. Doch nur auf meinen Anteil kann ich wirklich Einfluss (z.B. Verantwortung) nehmen. Was mich so richtig aufregt bin ich, was mich tief verletzt bin ich und nur darüber, über meine 50%, könnte ich mit dem anderen reden. Die Seele sucht immer maximale Wachstumschancen und das Tun des Anderen (wie auch immer es ist) bietet mir selbst Chancen mich zu entwickeln.

Als Führungskraft in unterschiedlichen Bereichen und Organisationen wurde mir klar, dass sich Systemisches Denken und Handeln sehr gut in Organisationen, Abteilungen, Teams in Form von Coaching oder Supervision anwenden lässt. Anders wie familiäre Systeme, in denen Bindungen meist loyaler sind, erlebe ich Systeme als Coach und Supervisor in Organisationen aufgrund ihrer Größe als vielfältiger und komplexer. Aber in den Subsystemen / Teams sind die Menschen oft nicht weniger emotional berührt. Wie wird aus einer Gruppe ein arbeitsfähiges Team? Wie werden Konflikte gelöst? Wer leistet welchen Beitrag für die Organisation/Team und wer übernimmt welche Rolle? Wie wird auf Veränderungen reagiert? Welche Ziele haben wir? Diesen und vielen weiteren Fragen bin ich mit Teams/Menschen nachgegangen, um deren Anliegen zu klären. Auch in diesem Arbeitsfeld erwiesen sich alle systemischen Prämissen als sehr hilfreich.

Als Mensch in einer Organisation legt man seine persönlichen Lebenserfahrungen und Wertevorstellungen nicht einfach an der Pforte ab. Diese in Übereinstimmung mit seiner beruflichen Rolle und Situation zu bringen ist nicht immer einfach. Eine strikte Trennung zwischen Privat und Beruf ist bei einem Menschen meiner Meinung nach nicht möglich. Die Auseinandersetzung damit und vielen weiteren Themen ist aber mit systemischem Handwerk sehr gut im Bereich Coaching / Supervision möglich.